Tod und Leben, ein zentrales Spätwerk Gustav Klimts (Leopold-Museum-Wien) zeigt uns Tod und Leben in einer denkwürdigen Verschränkung. Die Lebenden schlafen – nur der Tod ist hellwach. Seine geöffneten Augen scheinen sich gierig, beinahe draculahaft  auf die in sich verschlungenen Menschen zu richten. Wir, die Lebenden, aber sind mit allen Sinnen, mit unserem Fühlen und Denken, in Nähe und Lebensenge wie auf einem Blumenbeet gebettet, auf einer hellen Insel vom Konturlosen und Dunklen umgeben und auf uns selbst gerichtet. Und haben dabei die Augen geschlossen vor dem, was auf der anderen Seite des Bildes aus der Nachtseite heraus höchst lebendig auf uns wartet und gierig – neugierig mit einem Zepter oder Schlagholz bewaffnet lauert. Das christliche Kreuz ist nur noch ein Mantel und nicht das einzige Zeichen, mit dem der Tod sich schmückt.

Und doch weckt das Bild keinen Abscheu, es ist schön anzusehen. Der irgendwie barocke Totenkopf und die satten Farben versöhnen den Betrachter mit dem Inhalt des Bildes und lassen ihn mit einer Frage zurück:
Wie öffnen wir, die Lebenden, unsere Augen und halten dem gierigen Blick des Todes stand?

Es gibt darauf keine allgemeingültige Antwort. In jedem Vorgespräch zu einer Trauerfeier steht diese Frage mit im Raum. Auch im Tod die Würde des verstorbenen Menschen zu wahren und ihm Respekt zu bekunden über den Tod hinaus meint ja nichts anderes – um in der Bild-Allegorie Klimts zu bleiben – ihn auf unserer Insel so im Auge zu behalten wie es uns einzig möglich ist. Mit Blumen, Schmuck und Gräbern sichtbar, wenn nicht dem Vergehen so doch dem Vergessen zu trotzen und unserer Erinnerung dadurch bleibenden Wert zuzumessen.